Als Bundeskanzler Scholz vor Jahresfrist die »Zeitenwende«
ausrief, winkten viele krisengewohnte Ostler nur müde ab.
Wer die Wendezeiten nach 1989 hinter sich gebracht hat,
ordnet Geschichtsdramen relativ gelassen in den Lebens‑
alltag ein. Die Wirklichkeiten der ostdeutschen Transfor‑
mation hat seit über 30 Jahren keiner besser beobachtet
und porträtiert als Christoph Dieckmann, der preis‑
gekrönte und sprachgewaltige ZEIT‑Reporter und Autor
vielbeachteter Bücher.
Die Authentizität von Dieckmanns deutschen Geschich‑
ten entspricht seiner eigenen Herkunft und Vita. 1956 als
Pfarrerssohn in Rathenow geboren, aufgewachsen am
Harz, wurde dem Nicht‑FDJler die Zulassung zum Abitur
verweigert. Nach einer Lehrausbildung zum Facharbei‑
ter für Filmwiedergabetechnik studierte er Theologie an
kirchlichen Hochschulen in Leipzig und Ostberlin. Dann
war er Vikar, später Pressereferent am Ökumenisch‑Missi‑
onarischen Zentrum/Berliner Missionsgesellschaft. Als frei‑
beruflicher Autor schrieb er für Kirchenblätter und die kul‑
turpolitische Wochenzeitung »Sonntag«. Glücksumstände
bescherten ihm nach der Wende eine fünfmonatige Jour‑
nalistenreise durch die USA. Danach engagierte ihn 1991
die Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit« – lange als ein‑
zigen Ostdeutschen. Bis 2004 war er politischer Redakteur,
danach schlicht »Autor«. Offiziell begann 2022 sein Ruhe‑
stand, doch er schreibt weiter.
Christoph Dieckmann gilt zu Recht als einer der großen
Chronisten der kleinen Leute. Seine oft unbeachteten Hel‑
den trotzen mit Fleiß und Beharrlichkeit den Widrigkeiten ihres Alltags. »Vermittlung und Ermutigung war und blieb
mein Ziel. Die Ost‑Geschichte sollte sich nicht reduzieren
auf Stasi, Doping, Stacheldraht.« Dieckmann erzählte, so
ein Buchtitel, »Das wahre Leben im falschen«: von den
hungerstreikenden Kalikumpeln in Bischofferode, von der
Oderflut, vom rassistischen Mord an Antonio Amadeu,
vom Heimatverlust im Lausitzer Braunkohlerevier ... und
immer wieder vom Blues seines geliebten FC Carl Zeiss
Jena. Dass wir Christoph Dieckmann ausgerechnet in Jena
zu seinen Zeitenwenden befragen und mit Ihnen ins Ge‑
spräch bringen, ist also alles andere als Zufall. Durch den
Abend führt ein in Dresden geborener Wahl‑Jenenser:
der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Dr. Martin
Straub, Ehrenvorsitzender des Lesezeichen e. V.
Achtung: Beginn: 18:30 Uhr